Der “liebliche” Diktator mit dem „edlen Lorbeerblatt-Geschmack“

Auch nach fast 65 Jahren nach seinem Tod ist Stalin mehr Politikum als Geschichte. In einer repräsentativen Umfrage im letzten Jahr nannten 38% der Befragten in Russland Stalin als die herausragendste Person aller Völker und Zeiten – Platz 1. Auf Platz zwei folgte übrigens Vladimir Putin. Für die einen ist Stalin die Verkörperung der mächtigen UdSSR, die das Nazi-Deutschland bezwungen und soziale Gerechtigkeit perfekt umgesetzt hat. Die anderen machen den Diktator für massenhafte Repressalien der 30-40-er Jahre verantwortlich, denen, nach Angaben der NGO Memorial, knapp 4,5 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, über 1. Million wurden  erschossen. Mehrere Völker ließ Stalin deportieren, darunter über eine Million Russlanddeutsche.

In seiner Heimat Georgien existiert bis heute ein Stalin-Museum. Als der Reformer-Präsident Micheil Saakaschwili den Kampf den kommunistischen Symbole und der Ideologie im Land angesagt hat, geling es ihm nicht, das Stalin-Museum in Gori zu schließen. Eine kleine, aber fanatisierte Gruppe Stalin-Bewunderer glorifiziert auch noch heute den Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili (Stalin).

In Georgien, dem Land des traditionellen Weinanbaus, wird auch die Weinsorte „Kindzmarauli “ produziert. Das deutschsprachige Portal weinland-georgien.de beschreibt ihn so: „Dieser Wein zeichnet sich mit direkten Aromen von reifen Früchten und einem relativ langen Abgang aus, der im Nachhall sogar die besondere Eleganz eines edlen Lorbeerblatt-Geschmacks erkennen lässt“. Es sollte, neben der Sorte „Chwantschkara“, wohl der Lieblingswein des Diktators Stalin gewesen sein. Seit einigen Jahren versuchen die georgischen Winzer auch in Europa Fuß zu fassen. Und so gelang auch der Lieblingswein des Diktators nach Deutschland. Verkauft wird er hauptsächlich in russischen Geschäften. In Chorweiler stehen mehrere Ausführungen des Weins im Regal der Filiale der Supermarktkette LEDO (Acht Standorte deutschlandweit), zum stolzen Preis von 5,99 EUR.

Die Verbreitung des Stalin-Weins im Westen trifft auf zum Teil heftigen Widerstand. Als 2005 in manchen Geschäften der kanadischen Provinz Manitobe ein Wein der Sorte „Massandra“ erschienen ist, auf dessen Etikett das historische Foto der Konferenz in Jalta 1945 mit Churchill, Roosevelt und Stalin abgebildet waren, lief die dortige ukrainische Community Sturm. Die fast eine Million Emigranten aus der Sowjetunion und ihre Nachkommen beschwerten sich über die Abbildung des „Abscheulichsten Diktator Europas, der Millionen Ukrainer auf seinem Gewissen hatte.“ Die umstrittene Spirituose wurde aus dem Handel zurückgerufen.

Es ist mehr als nur beschämend. Dass man einem Diktator des 20. Jahrhunderts mit einer Spirituose ehrt, zeugt nicht nur von einer historischen Unkenntnis, sondern ist vor allem eines: Es ist eine Verhöhnung der Opfer, die politischen Repressionen in der Sowjetunion ausgesetzt waren. Stalins Schreckensherrschaft war Verfolgungen, Säuberungen und Deportationen von politischen Gegner oder gar gesamten Ethnien gebrandmarkt. Besonders die Deutschen in der Sowjetunion wurden entrechtet, verfolgt und inhaftiert. Heute stellen ihre Nachfahren den höchsten Anteil der Kundschaft des Lebensmittelhändlers. Die Frage ist nur, wie lange.

Dietmar Schulmeister, Vorsitzender der Landsmannschaft der Russlanddeutschen in NRW

Im August 2017 rief ein russischsprachiger israelischer Blog „Shakshuka“ die Konsumenten in Israel zum Boykott der Geschäfte der Firma Maadaney Mania auf, weil man dort einen Wein namens „Stalins Wort“ mit dem Foto des Diktators verkauft hat. Die Firma reagierte schnell,  entschuldigte sich und kündigte an, den Wein kurzfristig aus den Regalen nehmen zu wollen.

Auch in Deutschland gab es in der Vergangenheit besorgte Stimmen: „Diktatur in Flaschenform – Stalin grüßt vom Etikett“

Auf der Facebook-Seite der Firma LEDO gab es im November 2017 Protest gegen den Verkauf von Weinen mit dem Stalin-Konterfei: „Leider sind Stalins-Bilder in Deutschland nicht verboten und Sie können natürlich solche Weine verkaufen. Es ist allerdings so, dass ein großer Teil Ihrer Kundschaft Russlanddeutsche sind, die unter Stalin sehr gelitten haben…“.

Das Unternehmen antwortete darauf lapidar: „Danke für Ihren Kommentar. Dieser Wein hat bestimmte Geschmackseigenschaften, die von unseren Kunden geschätzt werden. Deshalb wird der Wein in unseren Geschäften angeboten.

Ein User machte seinem Unmut Luft. „Das ist eine sehr geschmack- und verständnisLOSE Aussage von Ihnen!  Oder führt Ledo Markt auch deutsches Bier mit Hitler-Konterfei drauf, welches besonders gut schmeckt?! Jede einzelne Familie unter den Deutschen aus Russland (und auch viele andere) haben wegen Stalin sehr viel Leid erfahren…!

Die Verharmlosung oder gar die Verniedlichung der umstrittenen Persönlichkeit Stalins zeigt nur wieviel Nachholbedarf in den Bereichen politische Bildung und Geschichte unter Russlanddeutschen und russischsprachiger Community existiert. 
Auch die Sehnsucht nach starker Führung, persönliche Identifikationskrise des Einwanderers und banale Ignoranz tragen dazu bei, dass die Persönlichkeit des blutrünstigsten Diktators des XX. Jhdt. unterschwellig wieder salonfähig gemacht wird.  Wenn es auch nur in Form eines Produktes ist… kann es nicht anders als die Verhöhnung der Opfer des Kommunistischen Regimes betrachtet werden. Meine Vorfahren sind repressiert worden: erschossen, vertrieben, verhungert. 
Meine persönliche Position – wenn die Geschäftsführung ihre Marketingpolitik nicht überdenkt, werde ich diese Supermarktkette boykottieren. Für meinen Ur-Opa, der 1938 erschossen wurde..”

Roman Friedrich, Streetworker aus Chorweiler

Passiert ist allerdings nach der Diskussion nichts. Der Wein wird weiterhin verkauft, zumindest in der Chorweiler-Filiale.

Stalins Bilder sind in Deutschland nicht verboten und somit kann man den Verkauf des Weins rechtlich nicht anfechten. Aber in der breiten Öffentlichkeit ist es Konsens, dass Stalins Diktatur eines der blutigsten Regime des 20. Jahrhunderts war. Selbst die härtesten Anhänger der kommunistischen Ideologie hier zu Lande distanzieren sich von der Figur Stalin. Es wird Zeit, dass der Stalin-Wein ein klares „No-Go“ in Deutschland wird!

18.01.2018, Alexander Litzenberger

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